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Übersichtskarte Europäische Fernwanderwege
European long distance paths https://hiking.waymarkedtrails.org |
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Karin Baseda-Maass ist Autorin und hat unter anderem folgendes Buch herausgegeben:
Hinweise:
Der Europa-Fernwanderweg E1 soll später einmal vom Nordkap bis nach Sizilien verlaufen. Die Streckenführung im hohen Norden befindet sich derzeit noch im Aufbau. Auch in Dänemark ist der Weg nicht vollständig durchmarkiert, erst an der dänisch-deutschen Grenze beginnt die Stammstrecke des E1, deren Verlauf bereits 1929 geplant wurde.
Sie befindet sich auf durchgehend gesichertem Weg längs durch Deutschland bis zum Bodensee, insgesamt etwa 1800 Kilometer.
Anschließend führt der Weg weiter über die Grenze in die Schweiz, wo er über längere Strecken dem Jakobsweg folgt: Von Konstanz zum Zürichsee und von dort in die alpine Zentralschweiz.
Auf der Passhöhe des St.Gotthard wird mit 2091m der höchste Punkt des E1 erreicht, weiter geht es durch die Südschweiz über die beliebte Wanderstrecke der Strada Alta.
Am Luganer See beginnt der italienische Abschnitt des E1, etwa 750 Kilometer bis nach Umbrien.
Schweizer Etappen der E1:
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Mapplus-Karte mit eingezeichnetem Jakobsweg und Unterkunftsmöglichkeiten
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Von nun an gelten für uns die gelben Wegweiser der Schweiz, wir sind in Kreuzlingen. Auf einem Reklameschild lesen wir: "Im Zoohüsli hat es Zwerghäsli", die Entgegenkommenden sagen "Grüezi mitanand!" Ja, wir sind nach 20 Monaten Pause, endlich in der Schweiz, um unsere E1-Wanderung fortzusetzen.
Wir herrlich ist
es doch, sich so fortzubewegen. Heute noch frisch und frei
ohne Rucksack folgen wir der gelben Raute bergauf zum
Waldrand und dann zum Bommer Weiher. Nach etwa zwei Stunden
erreichen wir Engelswilen, wo wir durstig den schönen
Fachwerkgasthof anpeilen. Aber - wie war noch die wichtigste
E1-Regel? Hab immer dein Getränk dabei! Haben wir natürlich
nicht, und sind deshalb entsetzt, als wir das Schild "Heute
Ruhetag" im Fenster sehen. Also müssen wir zurückeilen, denn
vor einem Haus hatten wir Minuten zuvor eine Frau ihre
Einkäufe auspacken sehen. Sie steht noch vor der Tür und
gießt gerade ihre Blumen.
"Grüezi!" sagen wir
ganz lieb, "der Gasthof ist geschlossen, könnten wir von
Ihnen eine Flasche Wasser kaufen?" Sie macht dem Ortsnamen
Ehre, erweist sich als Engel und schenkt uns eine 1,5-Liter
Flasche Mineralwasser. Unsere
Mittwoch-Nachmittag-Sommer-Laune ist gerettet.
Wir gelangen zu einem unwegsamen Trampelpfad, der zu einer elektrisch umzäunten Kuhweide führt. Da müssen wir durch! Oder besser gesagt: hinüber. Wie gut, dass wir ohne den schweren Rucksack unterwegs sind, so kriechen wir behände unter dem Draht hindurch und stapfen über vertrocknete und frische Kuhfladen am wiederkäuenden Schweizer Braunvieh vorbei, das unablässig mit den Halsglocken läutet. Am Rande einer steilen Schlucht geht es schließlich abwärts nach Weinfelden.
Der kürzere Teil der 30-km-Etappe ist geschafft. Noch ein Eis am Bahnhof, und schon sitzen wir in der Bahn zurück nach Konstanz.
9 Uhr 20: Bahn nach Weinfelden. Der Wanderführer nennt uns vier Einkehrmöglichkeiten am Weg und damit wieder einmal auch vier Möglichkeiten, das verhasste Ruhetagschild zu sehen: Bussnang, Affeltrangen, Bettwiesen und Dreibrunnen.
Aber heute ist mein neues Trinksystem im Rucksack integriert, der Schlauch mit Beißventil hängt griffbereit, also kein Grund zur Panik. Auch Joachim hat eine große Wasserflasche dabei, unter zarten Schleierwolken am blauen Himmel machen wir uns auf den Weg. Heute ist der längste Tag des Jahres. Ein schöner Tag. Eine Hängebrücke führt uns über die schäumende Thur. Das Heu duftet nach Sommer und Freiheit, wir genießen den weiten Blick über den sanft welligen Thurgau. Es wird warm und wärmer, doch ein leichter Wind fächelt uns Kühlung entgegen. An Gemüsegärtchen und vielen Obstbäumen vorbei erreichen wir Affeltrangen, wo wir im Schatten des Biergartens ein Löwenbräu aus Zürich trinken. Die Markierung ist vorbildlich, alle paar hundert Meter stehen Wegweiser, die häufig sogar Zeitangaben der Wanderetappen tragen. Beim Bezahlen lesen wir die Inschrift im Inneren des Gasthofes: "Es sind zwei schöne Ströme, die Donau und der Rhein, der Dumme sauft ihr Wasser, der Kluge ihren Wein." Beschwingt schreiten wir weiter und notieren im Kopf: Wein trinken am Abend!
Ein schmucker Wegweiser vor einem wunderschönen Fachwerkhaus zeigt uns, dass wir nicht nur auf dem Fernwanderweg E1, sonder auch auf dem berühmten Jakobsweg unterwegs sind. Von hier aus sind es für die Pilger genau 1925 km nach Santiago de Compostela in Spanien.
Durch die Felder erreichen wir ein Wäldchen mit einem plätschernden Bach, dem wir nicht widerstehen können: Stiefel und Strümpfe landen auf dem Waldboden, die Füße im eisigen Wasser. Himmlische Erfrischung nach einer glühend heißen Wegstrecke. Das Wasser gurgelt und gluckst, die Vögel zwitschern, trotzdem machen wir uns wieder auf die Socken.
Von Ferne leuchten uns die Gipfel der Alpen entgegen, vor uns liegt das winzige Bettwiesen im Tal. Über schattenlose Asphaltwege mühen wir uns voran und erreichen abgekämpft gegen vier Uhr das Restaurant "Pilgerhaus" in Dreibrunnen. Kühler Apfelsaft rinnt in die Kehle und muss Kraft für die letzte Wanderstunde gegen, denn es ist weiter bis in die Altstadt von Wil, als wir gedacht haben. Als wir schließlich ein Zimmer im historischen Gasthof "Wilden Mann" beziehen, sind wir rechtschaffen erledigt. Himmel, wie sollen wir nur am nächsten Tag die 25 Kilometer schaffen, wenn uns heute die 17 schon kaputt gekriegt haben? Ein üppiges Abendessen, Cordon bleu mit Nudeln und Pommes frites sowie ein trockener Schweizer Weißwein, lassen alle Mühen verblassen. Unser Wirt erzählt uns noch bis kurz vor Null Uhr viel Wissenswertes über Schweizer Verhältnisse, bevor wir die knarrenden Holzstiegen hinauf in unser uriges Zimmer steigen und in die Bauernbetten fallen.
Bevor wir Wil
verlassen, machen wir noch einen kleinen Rundgang durch die
Altstadt mit ihren Laubengängen und schauen uns auf dem Weg
zum Bahnhof die Auslagen der vielen Geschäfte in der langen
Fußgängerzone an. Als Industrie- und Einkaufszentrum hat Wil
eine Menge zu bieten und war - so klärt uns unser
Wanderbüchlein auf - früher die Sommerresidenz der Fürstäbte
von St. Gallen. (Ich weiß nicht mal genau, was Fürstäbte
sind, aber die Bauten hier sind imposant und prunkvoll)
Als wir den
Fußgängertunnel zum Südausgang des Bahnhofs beschreiten,
sehen wir eine für uns unverständliche Aufschrift auf den
Kofferkulis: "Stop. Hirne bim Lüpfe." Wir fragen eine Gruppe
Schüler, was das denn bedeuten soll. "Man soll stirnen, wenn
man etwas hochhebt", sagt ein Mädchen. Was? "Denken!" Aha.
Ach so. Ja klar, nun ist der Groschen gefallen: Die
Schweizer sollen ihrem Rücken nicht zuviel zumuten und beim
Anheben ihrer Koffer die Wirbelsäule schonen. Gute Idee!
Weshalb ich das
hier so ausführlich aufschreibe? Mir ist in jedem Ort
aufgefallen, wie häufig die Menschen hier durch gut gemeinte
Inschriften ermahnt werden, einen tadellosen Lebenswandel
hinzulegen. Überall stehen grüne Hundekot-Kästen mit
angehängten schwarzen Plastiktüten, es gibt mitten in der
Landschaft "Anweisungen über das Verhalten gegenüber
elektrischen Leitungen", Pilz-Sammel-Verordnungen und und
und. Wir lesen begierig und wundern uns. Schnell erreichen
wir Bazenheid und durchwandern heute das Toggenburg, die
Tallandschaft der oberen Thur. Ein junger Mann wendet mit
dreizinkiger Heugabel das duftende getrocknete Gras, während
im daneben stehenden Traktor ein Radio dudelt.
An der 200 Jahre alten gedeckten Holzbrücke über die Thur machen wir eine Kurzrast. Während ich ein paar Notizen ins Schulheft kritzele - ich habe es griffbereit in der breiten Hosentasche - überlegt der verhinderte Baumeister an meiner Seite, Joachim, wie um alles in der Welt wohl das Eisenbahnviadukt gebaut wurde, das wenige hundert Meter vor uns in den Himmel ragt. Die riesigen Stützpfeiler tragen elegante Bögen in schwindelerregender Höhe.
Über lange Asphaltwege traben wir weiter durch die Wiesen. Gonzenbach, Lütisburg, Grämingen, Bütschwil: Wunderbare Ausblicke lassen die Landschaft mit ihren kleinen Orten - besonders wenn gerade die%20Toggenburger Bodensee-Bahn hindurchgleitet - erscheinen wie auf einer Eisenbahnplatte. Wir haben jedoch das Gefühl, überhaupt nicht voranzukommen. Spannend wird die Überquerung einer Hängebrücke über die gierig schäumende Thur, die unter unseren Füßen klappert und schwankt. Wie viele Zeichentrick-Filme habe ich schon angeschaut, in denen genau diese Brücken reißen und den Helden übermenschliche Kräfte abverlangten ... Wir gelangen wohlbehalten ans andere Ufer und lesen dort: "Tragkraft 50 Personen. Schaukeln auf dem Steg verboten". Bei Nichtbeachtung wollen die Gemeinderäte 5 - 300 Franken erheben.
Wir steigen einen romantischen schmalen Pfad bergauf, atmen köstlichen Holunderblütenduft ein und wundern uns über einen Mann, der ein stattliches Ross mit Möbelpolitur bearbeitet bis es glänzt. "Dream Coat" lese ich auf der Flasche, aus der sich der Mann üppig bedient, um das Pferdefell auf Hochglanz zu bringen. Was es alles gibt! Wir bekommen Hunger. Unsere Brötchen haben wir bereits kurz vor Bütschwil aufgegessen, kurz vor dem mittelalterlichen Städtchen Liechtensteig machen wir Rast im Schatten eines Birnbaumes und essen einen Apfel. Also erfrischt geht es durch den langen Ort, an einer Waffel- und Biscuitbäckerei vorbei, deren Kuchenduft uns das Wasser im Munde zusammenlaufen lässt. Immer wieder werden wir von Velofahrern überholt, wie man hier die Radfahrer nennt.
Die letzten drei Kilometer verläuft der Weg an der Thur entlang, als wir Wattwil erreichen, steuern wir zielstrebig das Hotel Löwen an - ein Tipp unseres Wanderfreundes Frank Schlinzig, der uns heute die Hotelsuche erspart hat. "Ja, ihr seid Wanderer", sagt uns die nette Wirtin an der Rezeption, "da muss ich nicht fragen, wie lange ihr bleibt. Wanderer bleiben immer eine Nacht!" Wir widersprechen nicht und gönnen uns nach der Schweiß treibenden Wanderung erst einmal eine Dusche.
Hinweis der Wandersite: In Wattwil trifft die E1 mit andern Fernwanderwegen zusammen:
Wandersite: Beim Bahnhof die Unterführung benützen und zur Burgruine den schmalen Pfaden der "Alpenrandroute" folgen. Der "Jakobsweg" macht einen Umweg über das Frauenkloster und trifft kurz vor der Ruine wieder auf die "Alpenrandroute".Sie beginnt gleich mit einem steilen Aufstieg zur Burgruine Iberg, von wo aus wir einen prächtigen Blick über die gerade verlassene Stadt und die wild romantische Feldbachschlucht haben. Auch das weiß leuchtende Frauenkloster "St. Maria der Engel" können wir nun von oben betrachten. Nachdem wir auf der Informationstafel des Burgturms noch lesen, dass diese wichtige Festung 1240 von einem Abt des Klosters St. Gallen gebaut wurde, damit die wichtigen Passübergänge über den Ricken und die Laad gesichert waren (man muss wissen, dass die Grundherrschaften der Äbte des Klosters und die der Grafen von Toggenburg bunt durcheinander lagen und viel Rivalität zwischen ihnen herrschte), nachdem wir uns also schlau gemacht haben, schreiten wir weit aus auf sonnigem Weg mit wunderbar kühlem Rückenwind.
Siehe auch Trekking Nr. 70: Jakobswege
Wandersite: Das Strässchen, das wir nach der Ruine Iberg für 5 Minuten benützen, verlassen wir vor dem Waldeingang und folgen der Abkürzung dem Waldrand entlang (undeutlich markiert).Es geht bergauf und bergab, immer wieder sehen wir Bauern mit Kreiselheuern ihre Heuernte umschichten.
Im Dorf Walde, 839
m, gönnen wir uns im Gasthof an der Straße Bier und Brühe.
Das Schwyzerdütsch geht uns bei der Weiterwanderung immer
besser über die Lippen. Aus "ei" wird ganz oft "i" und aus
"eu" wird "ü", (zum Bispiel haben die Lüt eine hohe
Stüerlast), auch wichtig: immer schön übertrieben die erste
Silbe betonen, besonders bei Abkürzungen wie E:U! Also:
"Wenn die Schweiz in der E: U wäre..." nicht in der E U:!
wie wir es in Deutschland sagen.
Mein Lieblingswort
ist "gsi". Das heißt: gewesen. Beim Abräumen im Lokal, kommt
jedes Mal die Frage: "Isch gut gsi?" (Ist es gut gewesen)
Und vorher: "En guetä!" (Guten Appetit!) So üben wir uns
voran, krächzen: "Für dä chli Hunger", obwohl wir immer
großen Hunger haben, sehen weit in der Ferne den Zürichsee,
den wir heute erreichen wollen, werfen in Rüterswil einen
Blick in die Kapelle St. Ursula, wo eine Jakobusfigur in
barocker Pilgertracht steht und freuen uns, dass die Beine
wie von selbst funktionieren. Dass wir uns auf der Alpenrandroute vorwärts
bewegen, merken wir am eindrucksvollen Gipfelpanorama im
weit vor uns liegenden Dunst. Ach könnten wir doch die Füße
im von dort herüber leuchtenden Schnee kühlen! Aber davon
kann keine Rede sein, wir stolpern durch duftende
Heuaufwerfungen ausgedehnter Wiesen, die doppelt Hitze
ausstrahlen.
Wandersite: Bei der Kapelle oberhalb der Aathalerbrücke trennen sich die Wege:Über den Goldberg schleppen wir uns hinunter nach Schmerikon. Es wird heiß und immer heißer. Der obere Zürichsee ist erreicht. Wir genehmigen uns Eis und Cola am Bahnhof, sowie eine kurze Fußlüftung und ein Viertelstündchen Pause. Es ist unerträglich heiß.
Wandersite: Abwechslungsreicher als der Uferweg ist der Jakobsweg über Eschenbach. Nach einem Strassenstück bis Eschenbach 100 Hm Aufstieg zum Wald, schöner Gratweg im Wald und durch landwirtschaftliches Gebiet über Gibelsriet und Jonawald nach Jona. Die Wanderwege führen durch ruhige Quartiere nach Rapperswil. Dort entweder zur schönen Uferallee am See hinunter (Badeanstalt) oder über die Altstadt ins Stadtzentrum.Die letzten Kilometer am Seeufer (Veloweg) entlang über Bollingen und am Kloster Wurmsbach vorbei, fordern Kraft und Durchhaltevermögen. Mit jedem Schritt sinkt die Laune tiefer, um beim Anblick von Rapperswil mit seinem malerischen südländischen Charme wieder einen großen Sprung nach oben zu tun. Hotelsuche? Wir sind uns einig: Hier wird nicht gesucht, kein Schritt mehr weiter, die erste Nobelherberge gleich gegenüber vom Bahnhof muss es sein.
Also auf geht's, im Bahnhofsshop noch schnell "Halsfeger" kaufen, Bonbons, die alles an Kräutern in sich haben, was man nur für einen schlimmen Hals wünschen kann, und hinüber über den Seedamm ans Südufer des Zürichsees nach Pfäffikon.
Wandersite: Seit 2001 wandern die Pilger auf einem neuen, gut markierten Holzsteg über den SeeDa kommt es dann hammerhart: Der steile Aufstieg zum Berg Etzel 1098m, hat es derartig in sich, dass ich meine Entscheidung fürs Weiterwandern hart auf die Probe gestellt wird. Aber Zurückgehen kommt nicht in Frage, nur Zurückschauen, und das lohnt sich: Der Zürichsee liegt bereits blau schimmernd weit unter uns, wir kommen gut voran. Ich lutsche mich an den Halsfegern fest, nehme alle paar hundert Meter einen Schluck Wasser aus meinem Beißventil und halte mich an meinen oft praktizierten Durchhaltetrick: Zählen. Von eins bis zehn, zuerst auf deutsch, dann englisch, französisch, spanisch, italienisch, japanisch und dann wieder von vorn. (Ja wirklich, ich kann tatsächlich japanisch bis zehn zählen, habe mal in grauen Vorzeiten bei einem Versicherungsmakler gearbeitet, der vorwiegend japanische Klientel hatte).
Nach etwa einer Stunde Aufstieg sehen wir endlich mal wieder ein Schild "Europäischer Fernwanderweg, Nordsee, Gotthard, Mittelmeer". Die Halsfeger haben meine Stimme so weit wieder hergestellt, dass ich jubeln kann. Wir steigen bergan, der See entfernt sich rückwärts. Punkt 12 Uhr sind wir oben an der Kapelle St. Meinrad. Im Schatten des Biergartens lagern schon viele Mountainbiker, viele Autofahrer, einige Motorradfahrer und außer uns nur ein weiterer Wanderer. Ein Mann mit großem Rucksack und Hund, der uns bereits in Bazenheid aufgefallen war. Er scheint ebenfalls ein Fernwanderer zu sein. "Der Garten ist nicht bedient" sagt ein Schild. Ich bin es dafür umso mehr. Völlig ausgepowert, aber glücklich. So schreibe ich noch ein paar Daten zu St. Meinrad ab:
"828 kam Meinrad, ein Mönch des Bodenseeklosters Reichenau auf die Etzelpasshöhe und erbaute sich dort eine Zelle. Sieben Jahre lebte er hier in Stille, betend und arbeitend und spendete hilfesuchenden Menschen Rat und Trost. Dann zog er sich in den finsteren Wald zurück, wo er 25 Jahre lebte und am 21. Januar 861 von zwei Räubern erschlagen wurde. An der Stelle seiner Klause entstand 934 das Kloster Einsiedeln."
Hier oben an der Etzelstraße, die Teil eines früher sehr bedeutenden Pilgerwegs war, trennt sich unser heutiger Weg vom E1. Wir werden nicht zum Stöcklichrüz 1247m steigen, sondern auf dem Pilgerweg weiterwandern, wobei wir noch am Geburtshaus des Naturforschers Paracelsus, an der alten Tüfelsbrugg vorbeikommen. Ein kleiner Kräutergarten und ein Stein mit seinem Bildnis erinnern an den berühmten Arzt, der von 1493 bis 1541 hier gelebt hat. Durch weite Pfeifengraswiesen des Naturschutzgebietes Roblosen nähern wir uns dem Sihlsee und können schon von Ferne die Türme der Klosterkirche sehen, die Einsiedeln ankündigen, den bedeutendsten Wallfahrtsort der Schweiz. Joachim will seine Badehose nicht umsonst mitgeschleppte haben und stürzt sich in die kühlen Fluten, ich begnüge mich mit Füße kühlen und Notizen machen. Der Badeanzug bleibt wo er ist, tief unten im Rucksack. Der Sihlsee ist größter Stausee der Schweiz und nach siebenjähriger Bauzeit, wofür 55 Familien ihre Bleibe verloren, seit 1937 unerlässlich für die Elektrifizierung der SBB (Schweizer Bahn).
Ich dränge zum Aufbruch. Mich reizt nur noch eine Dusche, die wir im Hotel "Heilige Drei Könige" direkt gegenüber des Benediktinerklosters finden und ausgiebig nutzen. Das traumhafte Sommerwetter lockt sofort wieder hinaus, aber nur wenige Meter ins nächste Café. Eisbecher fassen. Zeitung lesen: Bis zur Französischen Revolution hatte das Kloster Einsiedeln das Alleinrecht Bücher zu drucken, was sich zuerst in der Herstellung von Gebetbüchern, später auch von profaner Literatur darstellte. Die Druckschriften waren begehrte Wallfahrtsandenken, ebenso wie Rosenkränze und Lebkuchen, die bekannten "Schafböcke". In den Souvenirkiosken rund um die Kirche wird auch am heutigen Sonntag all das angeboten. Das Innere der Klosterkirche übertrifft an Pracht unsere Erwartungen: So viel farbiger Pomp und dann noch die "Schwarze Mutter Gottes", die im hinteren Teil der Kirche in einer kleinen Kapelle von schwarzem Marmor umgeben ist! Alles sehr beeindruckend und wir sind mal wieder zur richtigen Zeit am richtigen Ort: Die Orgel setzt ein und ein Gottesdienst beginnt. Ich liebe es, Kirchenlieder zu singen, aber heute halte ich mich lieber zurück, meine Stimmbänder sind einfach noch zu angekratzt. So verlassen wir - wie viele andere auch - auf Zehenspitzen die Kirche und schauen uns noch in den hinteren Gebäuden des Klosters die Hengstställe an. Hier werden die "Einsiedel-Pferde" gezüchtet, eine robuste Rasse, die unter Kennern berühmt sein soll.
In einem Biergarten an der Hauptstraße genehmigen wir uns "Stange" und "Chübel", ein kleines und ein großes Bier und erleben die Prozession mehrerer Jodelgruppen, die von einem Wettbewerb zurückkommen und genau neben uns ihre Abschiedsjodler in den Abend schmettern. Alle Achtung, das klingt gut. Der Hunger treibt uns schließlich zum Italiener: Riesen-Pizza und Salat sorgen für Kraft, denn auch am nächsten Tag soll gewandert werden.
Schon ganz nah
sehen wir eindrucksvolle mächtige Berge, die stolz in den
Himmel aufragen, fast wie das berühmte Matterhorn, die
Mythen: Kleiner Mythen (1811m), Zwüschet Mythen (1356m)
und Großer Mythen (1899m). Bei jeder Wegbiegung stehen sie
majestätischer vor uns.
Gegen halb zehn
kommt uns auf sonnigem Jakobsweg ein gebücktes Männlein mit
Riesenlast entgegen. Man grüßt sich, fragt nach woher? und
wohin? und wir können nur noch staunen:
Der
sonnenverbrannte bärtige Mann mit den langen Haaren heißt
Jakob, ist auf dem Heimweg nach St. Gallen von einer 9000 km
langen Pilgertour. Wir setzen uns auf eine Bank am Wegesrand
und tauschen Erfahrungen aus. Unsere klitzekleine Leistung
ist schnell erzählt. Um seine zu erzählen, wird er sicher
Wochen brauchen, hier in Kurzform: Nach alter
Franziskanertradition hat er sich eine besondere Auszeit
genommen: Im Alter von 55 Jahren für ein Jahr seinen Beruf
(Wirtschaftsjournalist) an den Nagel gehängt, zwei Monate
karitativ gearbeitet und zwei Monatsgehälter an eine
Hilfsorganisation gespendet. Im September 2000 hat er sich
dann ohne Geld auf den Fußweg nach Rom gemacht und von dort
weiter zum Ziel aller Pilger: Santiago di Compostela in
Spanien. Die arg ramponierten Stiefel sind bereits das
fünfte Paar, geschlafen hat er in Pilgerherbergen, Klöstern
oder unter freiem Himmel. Lange Klappkarten mit heiligen
Stempeln und Siegeln dürfen wir bewundern und zum Abschied
einmal versuchen, den entsetzlich schweren Rucksack
hochzuheben. Selbst Joachim stöhnt unter dem Gewicht, ich
habe keine Chance, ihn nur fünf Zentimeter vom Boden zu
bekommen.
Wir tauschen noch
E-mail-Adressen aus und trennen uns. Er, um Grüße von
französischen Benediktinern nach Einsiedeln zu bringen, wir,
um über glühend heiße Wege nach Alptal zu gelangen. Nie
wieder werde ich jammern. Nie wieder mich beklagen, das
schwöre ich und muss noch lange an Jakob denken. Wie er wohl
den Einstieg ins normale Leben wiederfinden will?
Eine "Verordnung über den Schutz wild wachsender Pilze" bietet eine willkommene Ausrede fürs Innehalten. "Es dürfen nur dem Sammler bekannte und gesunde Pilze gepflückt werden" steht da. "Einzelpersonen dürfen in erlaubten Gebieten an erlaubten Tagen nicht mehr als zwei Kilo pflücken." Leuchtet ein, wenn man weiß, was erlaubt ist ...
Über Haggenegg 1444m (Bergrestaurant Tel. 041 811 17 74), mit prachtvollem Blick nach unten, geht es über steinigen Hochweg unterhalb der Steilwand des Großen Mythen zum Holzegg 1405m, wo wir im Berggasthof eine Suppe löffeln. Der Wegweiser zeigt uns nun eine willkommene Abkürzung nach Schwyz hinunter, zwar mit weiß-rot-weißen Querbalken als schwieriger Bergweg gekennzeichnet, aber dafür sind nur 1 Stunde 45 Minuten angegeben. (E1 noch drei Stunden).
So kommt, was
kommen musste: ein entsetzlich anstrengender
Knochenbrecherpfad. Wir mühen uns hinunter und merken: die
angegebene Zeit werden wir nie einhalten können. Zu mühsam
ist es, auf dem lockeren Geröll steil abwärts zu steigen.
Da nähert sich von
hinten ein Männlein, bewaffnet mit zwei Stöcken, dafür ohne
Rückenlast und hüpft und springt den Berg hinunter. Schnell
hat er uns überholt, Grüezi mitanand gesagt und ist schon
außer Sicht. Aha, denken wir, so muss man es machen. Wir
haben zwar jeder nur einen Stock und noch den Rucksack auf
dem Rücken, aber ich teste es trotzdem einmal. Und siehe da,
die Technik ist nicht übel. Joachim, der für solcherlei
Spielchen nichts übrig hat, bleibt weit zurück. Lange halte
ich das Tempo natürlich nicht aus. Außerdem habe ich Durst
und wir rasten im Gras neben einem Bach. Weit weit unter uns
liegt der Urner See, oje. "Jetzt wäre ich gern ein Bächlein
und könnte dann einfach hinunterfließen", seufze ich. Aber
Joachim entgegnet: "Dann versickerst du da unten im See und
bist nicht mehr du selbst."
Da ist was dran.
Also doch wieder Stiefel an und weiter hinunter quälen. Je
tiefer wir steigen, desto heißer wird es. Als wir endlich
die mächtige barocke Pfarrkirche St. Martin direkt unter uns
sehen, sind wir recht erschöpft, aber glücklich, es bis nach
Schwyz geschafft zu haben. Auf dem Marktplatz sehen wir das
mit Fresken bemalte Rathaus und werden so an die
Entstehungsgeschichte der Eidgenossenschaft erinnert. Schwyz
ist die Urzelle der Schweiz und hat dem ganzen Land seinen
Namen gegeben. Noch wenige hundert Meter, dann sind wir im
"Hirschen", einem urigen Backpacker-Hotel der unteren
Preiskategorie mit Internetzugang und einer kreativ
geführten Kneipe.
Und wen treffen wir
am Abend beim Essengehen wieder? Den Wanderer mit dem Hund.
Wir sprechen ihn an. Er geht den E1 in einer Tour. Ist in
Frankfurt aufgebrochen und will bis Ende Juli in Genua sein.
Beneidenswert. Wir sind am Ziel der ersten Etappe und freuen
uns auf die nächste. Vielleicht geht es schon im September
wieder los. Schön wäre es!
"Ein bisschen
Luxus muss sein", sagte sie am Donnerstag, den 16. August
2001, lackierte sich die Zehennägel mit ultraschnell
trocknendem Nagellack dunkelrot, bevor sie die derben Socken
anzog und in die Wanderstiefel stieg, um mit ihrem Mann
Joachim per ICE in knappen acht Stunden nach Zürich zu
eilen, der "Stadt des Geldes, wo die Menschen sich äußerst
geschäftig geben und sind, ohne Zeit und zielgerichtet
durchs Leben rasen und dem Business nur zu oft Humor und
Lebenslust opfern", wie es als Einführung im Reiseführer
steht. (Diese Sätze werden kurz darauf relativiert, das
Zürich von heute ist halt ganz ganz anders.
Wir haben die Stadt
von ihrer Schokoladenseite kennen gelernt, mit lauer Nacht,
Lindt/Sprüngli und erstklassigem City-Hotel, aber hier
sollen ja unsere Wandererlebnisse Vorrang haben, also wenden
wir uns dem Freitag zu.
In bester
Verfassung verlassen wir die "Stadt mit Weltformat, in der
das Leben pulsiert, die Szene lebt und die Menschen kreativ
und lebenslustig sind", nachdem wir noch einmal die berühmte
Bahnhofstraße ganz unstandesgemäß in Wanderstiefeln
abflaniert haben und gelangen nach einstündiger Bahnfahrt in
Brunnen.
Vorbei an schönen
Hotels, die uns an Ascona erinnern, erreichen wir den
Startpunkt unserer letzten Wanderung in diesem Jahr: den
Anleger am Vierwaldstättersee. Guten Mutes setzen wir Fuß
vor Fuß, in der Meinung, es werde eine leichte Spaziertour.
Doch da haben wir die Rechnung ohne das Wetter und ohne
einen genauen Blick auf die Karte gemacht. Über dem See
brauht sich blitzschnell eine üble Suppe zusammen, der Weg
am See entlang, entpuppt sich nicht als Promenade, sondern
steiler Bergweg, der lustig bergauf, bergab, bergauf, bergab
führt. Steil, versteht sich!
Während ich
entzückt violettfarbene wilde Alpenveilchen am Wegesrand
entdecke, setzt der Regen ein. Unter uns ziehen
Nebelschwaden über den Urner See(So heißt dieser Teil des
Vierwaldstättersees, der wiederum seinen Namen der Tatsache
zu verdanken hat, dass er als Seeweg, die vier Waldstätte
oder Urkantone der Innerschweiz verbindet: Uri, Schwyz,
Unterwalden und Luzern) Aus Nieseltropfen werden Bindfäden,
es bleibt uns nichts anderes übrig: Die Regenjacken müssen
her! Nach einer guten Stunde wissen wir nicht, was nasser
ist, die Jacke von innen oder von außen. Bei rund 25 Grad,
schwitzt man unter der Gummipelle. Die "Franz-Xaver-Kapelle"
von 1676 bietet uns Unterschlupf, so dass wir erst einmal
ein Dach über dem Kopf haben und unseren Regenschutz neu
überdenken können. So geht es auf jeden Fall nicht weiter.
Was hat man von einer Regenjacke, wenn man trotzdem darunter
klatschnass wird?
Ein Gebetbüchlein
erregt meine Aufmerksamkeit. Während Joachim noch die
Tropfen zur Tür hinausschüttelt, lese ich vor: "Heiliger
Franz Xaver, großer Apostel des fernen Ostens, der Inder und
Japaner, Missionar und Fürbitter bei Gott ..." Es steht
genau geschrieben, was gebetet werden muss, damit Franz
Xaver die Bitte erhört. Worum bitten wir ihn? Ganz einfach:
Lass den Regen aufhören! Und: Es klappt.
Wir treten ins
Freie und können die Jacken einrollen. Leider nur für kurze
Zeit, Franz Xaver muss mich missverstanden haben, aber als
die Wolken erneut zeigen, was in ihnen steckt, sind wir so
schlau, unsere Jacken nur über die Schultern zu hängen und
dadurch leidlich geschützt. Bis Sisikon regnet es. Wir sehen
den Ort tief unter uns liegen, scharf abgegrenzt gegen die
Landschaft aus Bäumen und See, wir müssen nur noch
hinabsteigen. In einem italienischen Restaurant gönnen wir
uns eine Minestrone und hoffen, dass die Sonne doch noch
siegt. Ich lese schon mal im Wilhelm Tell, unentbehrliche
Lektüre, jeder Aufzug, jede Szene birgt Orte, die wir
besuchen werden oder besucht haben. Und geflügelte Worte
jede Menge: Früh übt sich, was ein Meister werden will ...
Die Axt im Haus erspart den Zimmermann ... Es kann der
Frömmste nicht im Frieden bleiben, wenn es dem bösen
Nachbarn nicht gefällt ...und: Wer gar zu viel bedenkt, wird
wenig leisten. Sehr passend für Fernwanderer, Herr Schiller.
Wahrlich!
Die alte Axenstraße gewährt mit ihren Felsen von Zeit zu Zeit natürliche Überdachung, und als wir schließlich - treppauf, treppab - erst an der Tellsplatte, dann an der Tellskapelle mit ihren vier sehenswerten Fresken aus der Wilhelm-Tell-Geschichte landen, ist für heute Schluss mit Nässe. Die Sonne kommt über den Berg, unsere Gebete sind erhört worden, erschöpft und selig sitzen wir vor dem Gitter der Kapelle und lesen Wilhelm Tell. Oder besser: Ich lese vor, Joachim macht Fotos. Noch sind wir glücklich, ahnen nicht wie viele Treppenstufen wir bis Flüelen noch vor uns haben. Das merken wir erst, als wir wieder unterwegs sind.
Auf, ab, auf ab ... endlos. Manchmal zähle ich bis fünfzig oder sechzig, manchmal lasse ich es lieber: Die Stufen sind mörderisch. Einige so hoch, dass man einen Krampf in den Oberschenkeln befürchtet. Aber Fernwanderer kennen keinen Schmerz! Außerdem formt unser Hirn alte Bilder von Uri und Schwyz und Unterwalden, von der Urzelle der Schweiz und den unerschütterlichen Eidgenossen. So vergeht auch die letzte harte Stunde bis Flüelen. Erschöpft suchen wir dort ein Hotelzimmer mit Seeblick. Halb sieben haben wir es gefunden.
"Was sucht Ihr
hier in Uri?"
"Die alten Zeiten
und die alte Schweiz."
Das ist nicht unser
Dialog beim Aufbruch um neun Uhr in der Früh, sondern ein
Zitat aus Schillers "Wilhem Tell", den ich jedem E1-Wanderer
in der Schweiz, oder - mit Schillers Worten: "allen
Wanderern aus dem deutschen Land, die über Meinrads Zell
nach Welschland (= Italien) fahren" wärmstens empfehlen
möchte.
Unser Fernwanderweg
ist zunächst identisch mit dem hiesigen
Hochwasserschutz-Lehrpfad an der Reuss entlang. Die Sonne
lässt das gigantische Bergpanorama glänzen, Kuhglocken geben
den Takt an: Wir kommen auf dem schnurgeraden Damm, der die
schäumende Reuss zähmen soll, gut voran. Heute wäre ein
Fahrrad sehr nützlich, wir werden ab und zu von schnellen
Menschen auf Rennrädern und Mountainbikes überholt. Die
Sonne hat schon jetzt enorme Kraft, sie sticht erbarmungslos
vom Himmel herab, und wir nehmen uns vor, morgen eine Stunde
eher aufzustehen.
Längst sind wir an
Altdorf vorbei, jenem Flecken im Tal der Reuss, den - wie
die alten Hirten sich erzählten - die alten Schweizer auf
dem Boden errichteten, den sie der Wildnis abgerungen haben.
Man muss schon in sich gehen, um angesichts der
vorbeirauschenden Blechlawine, Schillers alte Zeiten
heraufzubeschwören.
Der Lärm von der
nahen Autobahn konkurriert mit dem tobenden Fluss, mal siegt
das Wasser, mal die Motoren, Verlierer sind immer unsere
Ohren. Oh, fast ein Gedicht!
Schön kühl und
angenehm still ist es in den Galerien, die durch den Fels
gehauen sind und uns Wanderern für kurze Zeit Erquickung
bieten.
Durch Erstfeld geht es weiter, wir unterqueren die Autobahn, ein Wäldchen bringt etwas Schatten, Militärgelände, Umspannwerk und hui, schon gelangen wir über die Reussbrücke in glühender Mittagshitze gegen zwei Uhr nach Amsteg. Da lacht des müden Wanderers Herz: so früh schon am Ziel! Hotel "Sternen und Post" lockt mit schattiger Terrasse. Apfelsaft perlt in die Kehle, wir beschließen zu bleiben. Und siehe, die Wirtin hat ein Zimmer frei; allerdings ist der Preis mit 200 Schweizer Franken nicht gerade niedrig, wenn man bedenkt, dass selbst in Zürich direkt am Limmat die Hotels erschwinglichere Betten bieten. Im Haus gegenüber erfahren wir, dass wir keine andere Chance haben, in Amsteg zu übernachten. Wir bekommen eine Telefonnummer für ein Hotel in Gurtnellen, dürfen telefonieren, bekommen die Zusage für ein Doppelzimmer mit Dusche und WC für 100 Franken und fahren eine halbe Stunde später mit dem Postbus dorthin. Sechs Kilometer E1 sind uns damit zwar durch die Lappen gegangen, aber bei diesen sommerlichen Temperaturen und der in Aussicht stehenden Härtetour des nächsten Tages mit 20 Kilometern und 1100 Höhenmeter zu überwindenden Höhenmetern, sind wir nicht traurig darüber. Unser Hotel ist bestens, der Ort sehr malerisch und das Abendessen erstklassig.
"Im Frühtau zu
Berge, wir steigen auf fallera ..." Es ist kurz vor neun,
Sonntagmorgen, selbst die Kirchgänger sind noch nicht
unterwegs, aber unsere Schuhsohlen netzt schon der
Morgentau.
Vorbei an der
Kirche, deren Friedhof 1987 nur knapp der
Unwetterkatastrophe im Kanton Uri entgangen ist. Die
Gemeinde Gurtnellen erlitt dabei große Schäden, aber
Menschenopfer waren nicht zu beklagen, erzählt uns der Text
auf der Infotafel am Wegesrand.
An einem einsamen
Haus sitzt ein älteres Ehepaar einträchtig auf der Bank in
der ersten Morgensonne. "Grüetsi mitenand!" - wir steigen
bergauf. Unterhalb des Pfaffensprungs passieren wir das
Kraftwerk, augenblickliche Höhe = 807 m.
Es geht weiter
bergan. Muss ich noch schreiben, dass es heiß ist? Und immer
heißer wird? Der Blick in die Wassermassen der Reuss bringt
eingebildete Kühlung. So kommen wir gut voran, eben noch
sahen wir die hoch gelegene Kirche von Wassen weit über uns,
schon liegt sie hinter und unter uns.
Genau wie im
Wanderführer beschrieben, wandern wir unter einem
Autobahnviadukt hindurch, über einen Zaun (na ja, nicht
ganz, er hat eine Pforte) und durch Wiesen. Wie Bergziegen
klettern wir über spitze Steine, links neben uns der
Abgrund. Stufen in allen Höhen und Ausführungen, Stein,
Holz, Metall, befestigt und unbefestigt, fordern
Oberschenkelmuskulatur und Knie heraus. Hüfthoch steht der
Klee, auch die Butterblumen sind ohne Kniebeugen greifbar,
Beifuß und blaßviolette Skabiosen erreichen sogar fast
Schulterhöhe: Wir folgen dem alten Saumpfad über den
Gotthard, den auch Schiller im Tell erwähnt. Der Ausdruck
"Saum" kommt nicht etwa daher, dass im hohen Gras der Saum
der Kleidung nass werden könnte, nein, die Traglast der
Pferde und Maultiere wurde so genannt. Und deren Führer, die
Säumer, brachten auf diese beschwerliche Weise Waren über
den Pass.
Nach zweieinhalb
Stunden harter Steigleistung setzen wir erstmalig die
Rucksäcke ab und kühlen unsere verschwitzten Rücken im
Bergwind. Ein Riesenschluck aus der Wasserflasche und weiter
geht es in sengender Mittagssonne an der Bahnstrecke
entlang. Verdunstende Holzschutzmittel aus neuen
Eisenbahnbohlen beißen ätzend in unsere Schleimhäute, wir
schauen hinab auf den Autobahntunnel, der vor Göschenen
beginnt. 17 km ist er lang und soll in zehn bis zwölf Jahren
von einem noch längeren Tunnel übertroffen werden, an dem
bereits gearbeitet wird. Länge: 57 km. Wir brauchen ihn
nicht, wir steigen über die Berge! Versuchung in Göschenen:
Sollen wir, oder
sollen wir nicht? Die Hotelterrasse des "Weißen Rössli"
sieht so einladend aus, dass wir einstimmig für "ja" sind.
Mittagessen. Ein Luxus, den wir uns normalerweise
verweigern, Leser meines Buches "E1-Das Buch zum Weg" kennen
unseren Wahlspruch "Ein voller Bauch marschiert nicht gern".
Deshalb gönnen wir
uns auch nur eine leckere Vorspeise: Tagliatelle an
Roquefort-Sauce - und sehen den schwarzen Stier von Uri
lustig auf gelbem Grund aus einem Fenster flattern, noch
weiter oben das ewige Eis eines Gletschers. Und über allem:
ein strahlend blauer Himmel.
Gegen 13 Uhr
verlassen wir den schattigen Platz, durchqueren Göschenen,
müssen über ein Baustellen-Treppengerüst ungezählte
Leiterstufen überwinden, kämpfen uns 300 Meter durch Lärm
und Gestank der Autostraße, bevor wir auf der alten "kühn
geschwungenen Steinbrücke, der Häderlinsbrücke, die früher
die Grenze der Wegpflichten zwischen Urner und Andermatter
Säumern ausmachte"
(so unser Kompass-Büchlein) stehen. Heutzutage kommen die
Motorradwanderer, schießen ein schnelles Foto und düsen
wieder weiter.
Ein knallroter
Teufelskopf lockt uns als Wegzeichen steil bergan auf dem
uralten Saumpfad.
Die Säumer
arbeiteten seit dem 13. Jh. genossenschaftlich, jeder Bauer,
der ein Pferd oder Maultier besaß, konnte gleichberechtigt
mitmachen. Traglast eines Maultiers: 150 kg! Da kommen wir
mit unseren paar Pfunden nicht mit. Wenn man dann noch an
die Läuferboten denkt, die als erste Nachrichtenträger
unterwegs waren, kam sicher ein reger Verkehr auf diesen
scheinbar unbegehbaren Pfaden zusammen.
Wir hängen unseren
Gedanken nach.
Es ist heiß.
Es ist steil.
Uns dürstet.
Wir trinken. Hand
aufs Herz: Es bummert, als wollte es durch die Rippen
brechen.
Schmetterlinge
tanzen im Sonnenschein, Eidechsen huschen über den Weg,
Schilder warnen vor Steinschlag. Wir quälen uns voran.
Rechts ... links ... rechts ... links: mechanische Füße, nur
nicht nachdenken. Die müden Augen suchen sich einen Weg im
Gestein. Gehen und gehen und immer weiter gehen, oder
besser: steigen. Durch die schroffen, steilen Felswände der
Schöllenenschlucht, bis wir sie sehen, die 1830 erbaute
Teufelsbrücke , von der die Legende berichtet, die
Erst-Konstruktion um 1200 sei nur mit Hilfe des Teufels
möglich gewesen, wofür dieser eine Seele forderte (das kennt
man doch? Immer will der Teufel dasselbe! Hier sollte es die
Seele des ersten Brückenüberschreiters sein. Was taten die
pfiffigen alten Schweizer? Sie schickten eine Ziege
hinüber!).
Stolz stehen nun
wir in der Mitte und lassen uns von einem Motorradwanderer
knipsen. Im Restaurant an der Brücke - es ist hier
tatsächlich der Teufel los, wohl das beliebteste
Sonntagsvergnügen weit und breit, der Parkplatz ist gut
belegt - hängen Original-Schusswaffen von der großen
Schlacht 1799, als hier der russische General-Feldmarschall
Suwurow zusammen mit den Österreichern die Franzosen
besiegte. Wir besiegen den Inneren Schweinehund und wandern
nach einer kurzen Trinkpause durchs Urner Loch ,dem 1707
erbauten Tunnel hinein in den Skiort Andermatt. Ergebnis der
Höhenmessung: 1436 m.
Ein Hotel ist
schnell gefunden, ein Wintersportort bietet Betten in Hülle
und Fülle und allen Preislagen. Im Sommer ist er nicht so
schnell ausgebucht. Wir duschen und machen uns fein für den
Ortsrundgang. In meiner umfangreichen Rucksackgarderobe
findet sich eine weiße Hose mit passendem dunkelblauem
T-Shirt, dazu leichte Sportschuhe. Im (ehemaligen) Hotel "Drei Könige und Post"
lesen wir ein Anekdötchen über den illustren Gast von 1775,
Goethe, der hier den kernigen Urner Alpkäse samt Wein
(Barbera) verzehrt haben soll.
Unser Abend klingt
mit einem leckeren Abendessen in dem Bewusstsein aus:
"Morgen gehen wir über den Sankt Gotthard!" Der Ort ist wie
leergefegt, die Sonntagstouristen abgefahren, nur
vereinzelte Übernachtungsgäste schlendern noch durch die
Straßen. Gute Nacht!
Es rauscht. Es
pladdert, das ist kein Fluss, das muss Regen sein: Der Blick
aus dem Fenster bestätigt das trübe Hörerlebnis:
Wolkenverhangen zeigen sich die Berge, was beim
Rucksackpacken bedeutet: Regenjacken obenauf. Oder besser
noch: gleich anziehen. Wir zögern den Aufbruch hinaus,
kaufen Brötchen, packen um, bis gegen zehn Uhr kein Weg mehr
daran vorbei führt, wir gehen los.
Am Bahnhof eine
malerische Überraschung: die historische Reisepost kommt
fünfspännig angefahren. Mit Hörnerklang werden wir aus dem
Ort geleitet. Die Wolken hängen tief. Und fast ebenso tief
hängt unsere Stimmung. Wie soll man bei solchem Wetter gute
Laune haben? Wie gute Fotos machen? Da geht man einmal im
Leben über den Sankt Gotthard Pass und wird mit Regen
belohnt! Unser Weg führt leicht aufsteigend nach Hospental.
Dort sehen wir den fünfspännigen Landauer wieder, der
bereits die ersten Serpentinen in Angriff nimmt.
Auch eine Schweizer Schulklasse turnt vor uns bergan. Wir torkeln bedröhnt vom warmen Nieselwetter hinterher. Ein Schwein grunzt uns entgegen, wir nehmen es als gutes Zeichen (Glücksschwein!) und tatsächlich gönnt uns der Himmel von Zeit zu Zeit eine Ruhepause, so dass die Hosenbeine wieder trocknen können. Mittlerer Ehekrach, als Joachim eine Abzweigung wählt, die zwar kein Wegzeichen hat, aber seiner Meinung richtig ist. Ich - gehorsame Ehefrau - folge ihm obwohl ich anderer Meinung bin und werde nach 10 Minuten Falschwanderung bestätigt: Natürlich endet der Weg vor einer Liftstation und wir dürfen zurückmarschieren. Genau da bin ich nicht mehr gehorsame Ehefrau, sondern lasse alle nörgelnde Nervtöterei auf ihn niederprasseln, die ich angesammelt habe. Das könnte stundenlang so weitergehen, doch dann: Schwein gehabt, lässt sich die gelbe Sonne sehen, warm und kraftvoll schaut sie uns ins Gesicht, während wir uns auf einem - im wahrsten Sinne des Wortes beschissenen Weg vorwärtsbewegen. So viele, so unterschiedliche Kuhfladen - von dünner Suppe bis zu getrocknetem Biskuit - habe ich noch nicht gesehen (und wir Fernwanderer kennen uns aus mit Kuhfladen, das kann ich beschwören!). Erstaunlich für uns Flachländer, wie diese Bergkühe klettern können.
Die Wirtsdamen
plaudern, nehmen keine Notiz von uns und scheinen nicht sehr
scharf darauf zu sein, mit uns ins Geschäft zu kommen. Aber
einen Apfelsaft bekommen wir trotzdem (Joachim trinkt hin
und wieder auch sein geliebtes Bier, aber da sich einige
Wanderer über unseren unangemessenen Bierkonsum mokiert
haben, bin ich nicht mehr gewillt, ehrlich zu sein). Über
duftende Blumenmatten geht es bergan weiter. Nicht so
schlimm wie gestern aber stetig. Dass der Schweizer Käse so
würzig ist, wundert uns beim Duft der Wiesen nicht mehr. Als
wir in der prallen Sonne eine letzte Rast einlegen, ärgere
ich mich doch noch über mich selbst. Wie konnte ich so dumm
sein, heute morgen das Sonnenschutzmittel in den Papierkorb
des Hotels zu pfeffern. Nur weil es ein bisschen regnete ...
Und dann - über die
ewig feuchten Wege, über eiszeitlich glattgeschliffene
Rundfelsen - stehen wir an den Bergseen oben auf dem Pass
und umarmen uns. Foto in Siegerpose: Es ist geschafft.
Der höchste Punkt
des E1 ist erreicht = 2091 m.
Natürlich wollen
wir hier übernachten: Una sosta al passo del San Gottardo,
wir sind im Tessin, ab hier wird Italienisch gesprochen!
Es wird Nacht auf
dem Gotthard
Aus unserem
Zimmerfensterchen sehen wir die historische Postkutsche nach
Airolo abfahren (595 Franken kostet der Spaß von Andermatt
bis Airolo inklusive Mittagessen, eine luxuriöse Tagestour
für Reiche) .
Vor dem Abendessen
schlendern wir hinüber zur Bronzeplastik des großen
General-Feldmarschalls Suwurow. Groß ist allerdings eher
sein Pferd und der Führer desselbigen. Suwurow selbst muss
man sich als ein verhärmtes Männchen vorstellen, das sich
verbissen in die Zügel krallt und in seine Pelerine
gekuschelt auf dem Pferderücken sitzt.
Wir wollen noch
mehr Geschichte vom Gotthardmassiv. Hier ist der Kreuzpunkt
der vier schweizerischen Sprach- und Kulturbereiche, das
Herzstück des Landes. Im "Museo Nazionale del San Gottardo"
lassen wir uns in einer romantisch verklärten Diaschau
schlau machen über das Auf und Ab der kürzesten Verbindung
zwischen Nord- und Südeuropa: der St. Gotthardstraße.
Viersprachig wird uns empfohlen, hier die Seele des Landes
zu entdecken, penetrare e comprendere l'anima del Paese, to
understand the spirit of the country ... Noch interessanter
sind die vielen Schaukästen mit Zeugnissen über den langen
und beschwerlichen Kampf des Menschen gegen die Natur, sein
Ringen um Freiheit und sein Bestreben, diesen wichtigen
Handels- und Verkehrsweg immer weiter auszubauen.
Liebevoll
zusammengetragene Gegenstände wie Maultiergeschirre oder
historische Zeichnungen und Karten, originalgetreue
Läuferboten und auch ein Albergo-Zimmer von anno dazumal
(mit Nachttopf): Hier könnte man Stunden zubringen. Der
Gotthard hat seinen Reiz.
Und wir beiden,
Joachim und ich, sind zu Fuß heraufgepilgert. Von Flensburg
durch ganz Deutschland, weiter durch die Schweiz bis hier
herauf. Stolz schwellt unsere Brust, doch draußen weht ein
kühler Wind. Schnell hinein in die Kapelle! "Oh, ist die
aber einfach ausgestattet!" sagt Joachim und erschrickt. Die
Akkustik ist überwältigend. Seine Stimme hallt, wir trauen
uns nur noch zu flüstern. Doch selbst das Flüstern klingt
wunderbar. Wie muss hier erst ein Lied klingen. Ich summe,
ganz leise, werde lauter, singe ein Kirchenlied. Eine so
schöne Stimme hatte ich noch nie.
"Wihihihihir
glaubehen all an einen Gott, Schöpfer Himmels und der Erden
..."
Davon wird mir
richtig warm und ich habe plötzlich riesigen Hunger. So
betreten wir die Gaststube des Albergo, bestellen
Jägerschnitzel und etwas zu trinken und schauen durchs
Fenster dem ständig wechselnden Wetter zu. Nebelschwaden
wehen übers Gelände, alles verschwimmt, selbst der
Fahnenmast vor dem Fenster ist wie ausradiert. Vereinzelte
Gäste finden noch ihren Weg hier herauf, mit Auto, Motorrad
oder Wohnmobil. Es werden immer weniger, die Bediensteten
finden sich an einem runden Tisch zusammen, trinken Rotwein
und lassen den Tag ausklingen. Genau wie wir. Wir feiern
unseren Triumph, allen Abstinenzlern zum Trotz mit Enzian
und Bier und landen mit der nötigen Bettschwere in unserem
uriges Zimmer mit der bunten Deckenbemalung und den
rustikalen Holzbetten. Das Wetter? Wir hören noch den Wind
sausen, träumen vom Auf und Ab, von Kühen und Butterblumen
und schlummern tief und fest.
Kalt ist der
Morgen, als wir nach dem Frühstück auf urigen Holzbänken -
Selbstbedienung im Museums-Restaurant - um Punkt 8:10 Uhr
vor dem Albergo einen letzten Blick hinauf zum oberen
Fenster werfen, hinter dem wir gerade noch im geheizten
Zimmer all unsere Habseligkeiten in den Rucksack gestopft
haben, bevor wir mit dem steilen Abstieg beginnen. Die
Mini-Tube Zahnpasta ist fast leer, auch Haarwaschmittel und
sonstige Kosmetikartikel in Kleinstformat haben bis zum
letzten Tag gereicht. Wieder einmal können wir
Blasenpflaster und unser geliebtes Super-Allheilmittel
"Klosterfrau Melissengeist" ungebraucht nach Hause tragen:
Wir freuen uns auf die letzte harte Strecke hinunter zum
Bahnhof von Airolo.
Wie gut, dass
Augen, Beine und Füße frisch und ausgeruht sind! Es geht
über wahrhaft steinige Strecken. Von unserer Höhe 2091m =
6860 ft. müssen wir hinunter auf 1175m zum diesjährigen
Endetappen-Ziel.
Während sich die
alte Pass-Straße für die Motorisierten in weiten
Serpentinien am Berg entlangwindet, sind unsere Wegzeichen
weiß-rot-weiß meist an der Falllinie gepinselt, also
Abkürzung! An einigen Stellen ist der Untergrund nass und
glitschig, intensiver Stockeinsatz schont die Knie, kündigt
aber schon jetzt Muskelkater im Trizeps des rechten Oberarms
an. Immer wieder genießen wir atemberaubende Ausblicke,
während wir durchs Val Tremola, durchs "Tal des Zitterns"
hinabsteigen. Je tiefer wir kommen, desto wärmer wird es.
Vorbei an uraltem Schnee, weiß-braunem Kokosnuss-Schnee, der
an schattigen Stellen übersommert hat, von Zeit zu Zeit ein
Motorrad-Fahrer, sonst Stille.
Über Motto di
dentro und Motto Bartola, 1527m steigen wir in die
Leventina hinunter, einem Haupttal auf der Alpensüdseite.
Auch hier läuten uns die Kuhglocken den Wegtakt. Auf einer
Bank mit Blick auf Airolo zitiere ich aus "Wilhelm Tell".
Tell, kaum zurück
vom Mord an Gessler, gibt gerade Johannes Parricida, dem
Herzog von Schwaben, (der hat seinen Onkel, König Albrecht
auf dem Gewissen), gute Ratschläge für den Fluchtweg. Wir
können diesen Weg nun bestens nachvollziehen, haben wir die
längste Strecke doch bereits hinter uns:
Wenn Ihr sie
glücklich hinter Euch gelassen,
So reißt ein
schwarzes Felsentor sich auf,
Kein Tag hat's noch
erhellt - da geht Ihr durch,
Es führt Euch in
ein heitres Tal der Freude -
Doch schnellen
Schritts müsst Ihr vorübereilen,
Ihr dürft nicht
weilen, wo die Ruhe wohnt. (...)
So immer steigend
kommt Ihr auf die Höhen
Des Gotthards, wo
die ew'gen Seen sind,
Die von des Himmels
Strömen selbst sich füllen.
Dort nehmt Ihr
Abschied von der deutschen Erde,
Und muntern Laufs
führt Euch ein andrer Strom
Ins Land Italien
hinab, Euch das gelobte - "
Die Landesgrenzen
sind heutzutage zwar etwas anders auf der Landkarte
eingezeichnet, aber Schiller hat den Weg nicht schlecht
beschrieben. (Vor allem viel kürzer als ich) Reuss,
Teufelsbrücke, Urner Loch, die ewigen Seen auf dem Gotthard:
Sein Text gibt Zeugnis von allen Stationen, die wir auf
dieser Wanderung kennen gelernt haben. Die Tatsache, dass
Schiller bereits das Urner Loch erwähnt, macht Wilhelm Tell
zusätzlich zum Meisterschützen noch zu einem Hellseher, denn
dieser Tunnel wurde erst 1707 in den Fels gesprengt.
Schiller durfte ihn kennen, Wilhelm Tell noch nicht. Aber
bei Weltliteratur sollte man nicht kleinlich sein ...
Unter uns liegt Airolo mit Häusern im mediterranen Pastellputz und Flachdächern, wir können die Bahnschienen ausmachen und wissen: In ein, zwei Stunden werden wir im Zug nach Zürich sitzen. Vorher lassen wir noch eine Cola im Bahnhofs-Restaurant in unsere durstigen Kehlen gluckern, nachdem wir heroisch an den Tafeln der Hotels mit angekündigten piatti principali (Hauptgerichten) vorbeigeschlichen sind.
In der gleichen Homepage finden Sie auch die Fortsetzung der Wanderung von Airolo bis Morcote. Sehr empfehlenswert!
Karten und Links
Allgemeine
Dokumentation
zu den Europäischen Fernwanderwegen:
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