Maria Innitzer:
1.Tag
St.Moritz - Sils Maria - Maloja
Nachdem es in Wien um die 35 Grad hatte, ist es in
Moritz mit 18 Grad und Sonnenschein angenehm frisch. Es geht
zunächst direkt vom Bahnhof St.Moritz an den St.
Moritzer See, wo Ruderboote und Blesshühner schwimmen.
Den See entlang geht es nach St. Moritz Bad, und dann den
Wanderweg durch den Wald. Ich komme an einem kleinen
Campingplatz vorbei, dann weiter zum Champfersee, mit
unzähligen Blumen, vor allem Alpenrosen, Vergissmeinnicht,
Löwenzahn und Glockenblumen am Wegrand. Der Wanderweg führt
weiter nach Surlej und den Silverplanersee.
An der Feuerstelle beim Nietzschestein mache ich Rast
und koche mir Spaghetti Carbonara auf meinem Campingkocher.
Erste Wolken ziehen auf, und der türkisblaue See erscheint in
einem magischen Licht. Es geht weiter, der Weg verläuft im
Wald etwas oberhalb des Sees auf und ab, und an der Talstation
Furtschellas vorbei nach Sils Maria. Dort besorge ich
im Supermarkt noch etwas Proviant. Es wird die letzte
Einkaufsmöglichkeit für die nächsten fünf Tage sein. Ich
spaziere durch den Ort, der mir schon von früheren Besuchen
bekannt ist. Das Nietzschehaus hat, wie immer montags, leider
geschlossen. Es ist 14 Uhr, als ich Richtung Silsersee
aufbreche. Jetzt verfinstert sich der Himmel zusehends, der
See bietet dennoch einen grandiosen Anblick. Ich folge dem Weg am
südlichen Seeufer Richtung Isola und Maloja. Als ich am
Bootshaus der Schifffahrtslinie vorbeigehe, beginnt das
Gewitter. Augenblicklich stelle ich mich im Bootshaus unter.
Der Regen ist so stark, dass das gegenüberliegende Seeufer
nicht mehr zu erkennen ist. Einige andere Wanderer und
Radfahrer leisten mir Gesellschaft. Darunter ein Herr um die
sechzig, klein, drahtig, aus der Gegend, mit einem
Mountainbike, das beeindruckend breite Reifen hat. Er erklärt
mir, dass er so auch durch den Schnee fahren kann. Ich werde
ihm später noch einmal begegnen. Als der Regen nachlässt,
mache ich mich wieder auf den Weg. Ich habe einen Schirm
dabei, und nachdem der Weg großteils im Wald oberhalb des
Seeufers verläuft, würde ich wohl nicht allzu nass werden. Bei
Isola führt der Weg allerdings aus dem Wald heraus,
und der Regen wird wieder stärker. Glücklicherweise ist es
jetzt nicht mehr weit zum Campingplatz kurz vor Maloja,
auf dem ich um halb fünf eintreffe. Ich darf im Restaurant
warten, bis der Regen aufhört, damit ich mein Zelt trocken
aufstellen kann. Ausserdem bekomme ich Zeitungspapier, um
meine Schuhe zu trocknen. Kaum habe ich meinen Tee getrunken,
ist es auch schon so weit, und der Regen macht kurz Pause. Das
Zelt ist schnell aufgestellt. Ich gehe heiss duschen, das
letzte Mal für die nächsten fünf Tage. Es beginnt immer wieder
zu regnen. Mein Abendessen koche ich im großen Tipi, das als
Aufenthaltsraum fungiert. Bei Einbruch der Dunkelheit schlafe
ich sofort ein.
2.Tag
Maloja - Lej Cavloc - Murettopass - Alpe Oro
Um fünf Uhr morgens
werde ich von den Regentropfen geweckt. Ich beschließe, noch
ein wenig weiterzuschlafen, und hoffe, dass der Regen aufhört.
Das tut er dann auch, so dass ich um 9 Uhr mit fast trockenem
Zelt aufbreche. Schlafsack und Matte sind leider vom
Kondenswasser etwas feucht. Zunächst geht es eine asphaltierte
Strasse nach Maloja hinein, dann zum Malojapass. Von
hier führt ein Wanderweg über Wiesen und Wälder, zunächst an
einem skurrilen Bauernhof vorbei, dann an den Lej Cavloc.
Dort mache ich eine frühe Mittagspause in der Sonne. Eine gute
Gelegenheit, Zelt, Schlafsack und Matte zu trocknen und die
Füße zu lüften. Als eine größere Gruppe Wanderer kommt, die
ich zuvor überholt habe, räume ich das Feld. Der Weg führt
weiter einen plätscherndes Bach entlang, und gewinnt langsam
an Höhe. Am Plan Canin liegt die Wegkreuzung, an der es
rechts Richtung Fornohütte geht, und geradeaus ins Val
Muretto, Richtung Murettopass. Ich gehe geradeaus,
überquere erst einen breiten Fluss und folge dann dem Weg
einen Bach entlang. Bald beginnen die ersten Altschneefelder.
Erst kann ich ihnen ausweichen, doch dann setzt sich die
Wanderung im Schnee fort. Der Schnee ist kompakt, fast wie
eine Schipiste. Zwei Mountainbiker in Radlerdress kommen mir
vom Pass entgegen. Sie schieben ihre Räder durch den Schnee,
und fragen sich, ab wann sie wohl wieder aufsteigen könnten.
Sie haben noch ein paar hundert Meter im Schnee, aber ich
werde bald selbst erfahren, wie viel sie schon hinter sich
haben. Im Fels neben dem Schnee sind Blumen und Palmkätzchen,
die hier erst spät blühen. Ich sehe die ersten Murmeltiere.
Kurz vor dem Murettopass wird es steil und ich
muss ein wenig meine Hände einsetzen, und dann bin ich endlich oben.
Auf einer Bank genieße ich den Ausblick nach Italien hinunter.
Wolken sind aufgezogen, und hinter dem nächsten Bergrücken
donnert es schon. Auch am Abstieg gibt es viel Schnee. Der
Schnee ist kompakt,
und das Gefälle ist nicht zu steil, so kann ich wie auf
Schiern hinuntergleiten. Ein Talboden tut sich auf, und der
Weg wird immer besser, bis er ab der Alpe Monte Rosso ein
richtig breiter Fahrweg ist. Kurz geht es durch den Wald, und
um halb fünf komme ich auf der Alpe Oro an. Unten am
Fahrweg steht ein grosses Haus und es gibt einen Brunnen. Hier
fülle ich meine Wasservorräte auf. Bei der Familie, die sich
auf der Wiese sonnt, handelt es sich aber nicht um die
Besitzer des Hauses, sondern um Ausflügler, die aus Chiareggio
mit dem Auto heraufgekommen sind. Die etwas oberhalb im
Verlauf des Wanderwegs gelegene Alm ist noch nicht
bewirtschaftet. Hier baue ich mein Zelt auf, zumal auch die
Gewitterwolken immer mehr den Himmel verfinstern. Ich koche
noch schnell ein Abendessen, und schon geht es los. Blitz und
Donner, strömender Regen, Sturmböen. In meinem Zelt bin ich
sicher. Nach zwei Stunden ist der Zauber vorbei. Ich trete aus
dem Zelt und sehe einen leuchtenden Regenbogen. Abwasch und
Körperpflege erledige ich am Brunnen, dann schlafe ich sofort
ein.
Wegweiser Plan Canin |
Lej Cavloc |
Murettopass |
Regenbogen auf der Alpe dell'Oro |
3.Tag Alpe Oro - Rifugio Longoni - Lago
Entova - Ponte degli Alpini im Val Scersen
Ich wache um sechs Uhr
auf, die Nacht war anscheinend trocken, doch der Himmel ist
bedeckt. Zum Frühstück gibt es Tee und Flapjack. Ich packe
schnell zusammen, denn es sieht nach Regen aus. Um halb acht
marschiere ich los Richtung Alpe Fora. Es geht durch Wiesen
und Wälder, eine unglaubliche Blumenpracht säumt den Weg. Noch
im Wald vor der Alpe Fora beginnt es zu regnen. Der
Trampelpfad lässt sich mit Regenschirm leicht gehen. Knapp
oberhalb der Baumgrenze liegt die Alpe Fora, sie ist
ebenfalls noch nicht bewirtschaftet. Ab hier steigt der Weg
an, und das Terrain wird felsiger. Regen und Sonne wechseln
sich ab. Schließlich erreiche ich ein Hochplateau. Eine weite
Almwiese, die von Bächen durchkreuzt wird. Im Hintergrund die
steilen Felsen, aus denen Wasserfälle herabstürzten. In einem
der Felsen glaube ich die Gestalt eines Murmeltieres zu sehen.
Murmeltiere gibt es hier oben natürlich auch. Sie sind eher
klein und sehr scheu, meist höre ich nur ihre Pfiffe, ohne sie
zu Gesicht zu bekommen. Weiter geht es durch felsiges Geröll
bergauf zum Rifugio Longoni. Es ist kurz nach zehn
Uhr. Die Hütte hat geöffnet, und ich werde vom Wirt sehr
freundlich empfangen. Er habe derzeit nur alle paar Tage
Gäste. Und ja, die Mountainbiker, denen ich am Vortag am
Murettopass begegnet bin, waren auch bei ihm. Er möchte Fotos
sehen, von den Schneeverhältnissen, er bekomme laufend
Anfragen. Ich darf meine Sachen in der Hütte trocknen und
bekomme sogar Reservezeitungspapier für meine Schuhe “für
heute Abend”. Ich solle mich doch in die Küche setzen, da sei
es wärmer. Ich bin hungrig, der Wirt kocht mit Pasta, und
serviert mir selbst gebackenen Buchweizenkuchen. Wir
unterhalten uns über die Berge und das Leben. Sein Traum sei
es, einmal in Wien in die Oper zu gehen. Er ist ganz angetan,
von meinem Plan, die Tour mit dem Zelt zu bestreiten. Da sei
man flexibler, das sei wichtig. Er empfiehlt mir auch,
spätestens um fünf Uhr Schluss zu machen, und die nächste
Etappe am besten bei der “grünen Brücke” im Val Scersen zu
beenden, da der folgende Anstieg zum Rifugio Carate Brianza sehr anstrengend, und
das Wetter instabil sei. Vorher gelte es noch, die Forcella
Entova zu überwinden, ob ich ihm auch von da Fotos schicken
könnte. Um zwölf Uhr breche ich schließlich auf, mit trockenen
Sachen. Erst geht es ein Stück durch dem Blockfels abwärts zu
einer Schotterstrasse, die hinauf zum Lago Entova, wo
es ein paar Almhäuser gibt, führt. Glücklicherweise bin ich
schon auf der Schotterstrasse, als es wieder zu regnen
beginnt. Ich lasse mich nicht beirren und setze den Weg auf
der Schotterstrasse fort. Kurz hagelt es sogar, doch dann ist
es wieder trocken. Am oberen Teil des Fahrwegs sind immer
wieder kleine Schneefelder zu überwinden. Oben bei den Almhütten vor dem See
zeigt sich eine geschlossene Schneedecke, auch der See ist
noch gefroren und von Schnee bedeckt. Ab hier geht es im
Blockfels weiter, Markierungen sind teilweise sichtbar, doch
eigentlich ist es mit der Karte ganz klar, dass es hier nur
eine richtige Richtung gibt. Den See umrunden und dann die
Rinne hinauf, rechts halten. Der Weg hinauf zur Scharte Forcella
Entova ist auch problemlos, die Hände
muss ich fast nicht einsetzen. Oben weht ein eisiger Wind, und
ein Blick auf die andere Seite zeigt Schnee, viel Schnee. Im
oberen Teil noch gut zu gehen, breche ich weiter unten ein
paar mal ein. Ich teste mit meinen Wanderstöcken die
Schneedecke an, doch ganz ist es nicht zu verhindern. Weiter
unten ist es dann möglich, die Schneefelder zu umgehen. An
einem kleinen See, bei den letzten großen Schneefeldern,
sehe ich einen Herrn in Turnschuhen und kurzer Hose, wir
nehmen aber keinen Kontakt auf. Von hier sehe ich schon den
Scersen Gletscher und das Scersen Tal, mein heutiges Ziel. Den
Abstecher zum Alpinifriedhof mache ich natürlich doch. Um halb
sechs erreiche ich die “grüne Brücke”, offiziell Ponte
degli Alpini genannt. Es handelt sich um eine solide
Stahlkonstruktion über den reissenden Fluss, der durch das
Scersen Tal fließt. Davor eine kleine Wiese, auf der ich
das Zelt aufbaue. Es ist kalt, und ich krieche in meinen
warmen Schlafsack. Abends regnet es wieder, und ich verbringe
eine ruhige Nacht im Zelt.
4. Tag Ponte Alpini - Rifugio Carate -
Rifugio Bignami - Alpe Gembre
Morgens
ist es draussen wieder trocken, im Zelt Matte und Schlafsack
wieder etwas feucht vom Kondenswasser. Die Schuhe sind mit dem
Zeitungspapier halbwegs trocken geworden. Es ist ein kühler
Morgen bei wolkenlosem Himmel. Ich koche mir einen Tee, dann
breche ich auf. Erst überquere ich auf der Brücke den
tosenden Fluss, dann geht es Richtung Rifugio Carate Brianza.
Der Weg führt erst steil bergauf, dann quert er einen
felsigen, von kleinen Bächen durchkreuzten Hang Richtung
Süden, dann geht es etwas flacher mit Ausblick auf
Scersengletscher, Piz Roseg und Piz Bernina zu den Laghetti
delle Forbici. Die Seen sind zum Teil noch gefroren und
von Schnee bedeckt. Um nicht im Schnee einzubrechen, weiche
ich den Altschneefeldern so gut es geht aus, was aber nicht
immer möglich ist. Es folgt noch ein kurzer steiler Aufstieg
durch Blockfels. In den Felsspalten kommt eine Unmenge von
Konserven- und Getränkedosen aus mehreren Jahrzehnten und in
verschiedenen Stadien der Verrostung zum Vorschein. Dies ist
umso erstaunlicher, als schon nach wenigen Minuten die kleine
Passhöhe erreicht ist, von der es nur ein paar Schritte zum
Rifugio Carate sind. Gegen 10 Uhr treffe ich auf der
Hütte ein. Der Wirt ist erst etwas mürrisch, lässt mich dann
aber doch meine Sachen auf der sonnigen Terrasse trocknen.
Diesmal bekomme ich keine Pasta, aber ein grosser Teller mit
Speck und Käse ist mir genauso willkommen. Wir unterhalten uns
auf Französisch als unserer besten gemeinsamen Sprache.
Eigentlich hatte ich geplant, von hier aus über die Forcella
Fellaria zum Rifugio Bignami zu gehen. Der Wirt rät mir
dringend davon ab, es gäbe Lawinen und Steinschlag, und diesen
Sommer sei noch niemand oben gewesen. Er rät mir statt dessen,
zum Campo Moro abzusteigen, um dann weiter über den Campo
Gera Stausee zum Rifugio Bignami zu gelangen. Was auf
der Karte wie ein riesiger Umweg aussieht, wäre bei den
Schneeverhältnissen zeitlich kein so grosser Unterschied. So
ändere ich meinen Plan kurzerhand, obwohl ich mich im
Hochgebirge so viel wohler fühlen würde, als unten am Stausee
mit der Autostrasse. Zügig geht es über Almwiesen bergab, es
kommen mir immer mehr Tagesausflügler mit leichtem Gepäck
entgegen. Aber auch Bergsteiger mit vollständiger
Kletterausrüstung, die wohl in Richtung Gletscher unterwegs
sind. Der Weg überquert wieder etliche Bäche und führt
schließlich durch einen Wald zum ersten der beiden Stauseen.
Ich überquere die Staumauer, dann geht es einer asphaltierten
Straße entlang. An einem Brunnen mache ich eine kurze Pause.
Hier unten in der Mittagssonne ist es zum ersten Mal auf
meiner Wanderung richtig heiß. Schließlich gelange ich an
einen Park- und Rastplatz, wo sich Ausflügler tummeln. Ich
gehe weiter und erklimme langsam die Stufen zum Stausee. Ich
überquere die Staumauer, um dem Wanderweg am westlichen
Seeufer Richtung Rifugio Bignami zu folgen. Erst geht
es parallel zum Seeufer sanft bergauf, dann folgen etwas
steilere Serpentinen. Der Himmel verfinstert sich zusehends
und öffnet schließlich seine Schleusen. Trotz Regenschirm
komme ich ziemlich durchnässt gegen 15 Uhr auf der Hütte an.
Einige Gäste sind im großen Gastraum, und ich spekuliere mit
dem Gedanken, die Nacht hier zu verbringen. Erst bestelle ich
einen heissen Tee und etwas zu essen, es gibt Polenta mit Käse
und Bohnen sowie eine hervorragende Schokoladentorte. Mehrere
Gruppen von Wanderern sind da, mit den ich mich ein wenig
unterhalte. Auf der Hütte gibt es auch einen jungen Hund,
Margo, der von einem älteren Artgenossen bewacht wird. Auch
eine Familie mit Kindern ist da, die auf ihrem Ipad spielen.
Irgendwie ist es mir dann zu geschäftig, vor allem die laute
Musik vom Ipad irritiert mich. Um 17 Uhr hat der Regen
aufgehört, und so verlasse ich die Hütte wieder. Ich folge dem
Wanderweg weiter um das nördliche Seeufer herum und gelange am
Gegenhang zur Alpe Gembre. Auch diese Alm ist noch
nicht bewirtschaftet, es gibt aber einen funktionierenden
Brunnen. So schlage ich hier mein Zelt für die Nacht auf,
wasche mich am Brunnen und genieße die Aussicht auf den
Fellaria Gletscher und den Piz Palü. Diesmal kommt kein
weiteres Gewitter und ich verbringe eine ruhige Nacht.
Ponte Alpini |
Laghetti delle Forbici |
Rifugio Carate |
Stausee Lago di Gera |
Alpe Gembre |
5. Tag Alpe Gembre - Passo Canfinal -
Cavaglia - Lagh da Palü
Morgens
gehe ich es gemütlich an, koche Tee und wasche mich am Brunnen
und hoffe dass das Zelt vorm Aufbrechen noch ein wenig
trocknet. Die Sonne kommt hier wohl erst später, befinde ich
mich doch an einem Osthang. So breche ich schließlich auf und
gehe über Almwiesen weiter Richtung Passo Canfinal, der Grenze
zur Schweiz. Der Anstieg ist so gut wie schneefrei und als der
Pass schon in Sichtweite ist, sehe ich zum ersten Mal auf der
Wanderung Weidetiere, in diesem Fall Schafe. Oben am Passo
Canfinal befindet sich eine Biwakschachtel, an der ich
meine erste Pause einlege, und Zelt, Schlafsack und Matte
trockne. Es ist sonnig, und es weht ein kühler Wind. Es
folgt der lange Abstieg nach Cavaglia. Auf der Schweizer Seite
sind dann doch einige Altschneefelder. Erst geht es durch
Fels, dann über Wiesen, ich überquere unzählige kleinere und
größere Bäche. Ein offensichtlich verirrtes Schaf läuft vor
mir davon. Ob es zur Herde auf der italienischen Seite gehört,
oder von der Schweizer Seite kommt, ist schwer zu sagen.
Irgendwann verliere ich es aus den Augen. Auch die Murmeltiere
sind sehr scheu. Meist höre ich nur ihre Pfiffe. Kann ich
einmal ein Tier ausmachen, und versuche ich mich zu nähern,
komme ich maximal 10 Meter heran, zu weit weg für ein Foto.
Ebenso eindrucksvoll der Enzian, der ganze Hang ist voll
damit. Auf einem Foto kann man solche Eindrücke ohnehin nicht
gebührend festhalten. Leider verpasse ich irgendwann eine
Abzweigung nach links, wo der offizielle Weg weitergeht. Aber
auch geradeaus gibt es zunächst Markierungen, die dann immer
spärlicher werden. Das Ziel ist jedoch klar - abwärts zur
nächsten Alm, treffenderweise Plan da li Perti genannt, um
dort einen Weg aufzunehmen, der mit dem ursprünglichen wieder
zusammenführt. Es geht recht steil eine von Wasserläufen
durchzogene Blumenwiese bergab ins Val d’Urse. Hier ist die
Markierung wieder eindeutig, und es geht zunächst den Fluß und
dann den Nordhang entlang bis zu einer asphaltierten Strasse,
knapp unterhalb von Somdoss der ursprüngliche Weg aufgenommen
wird. Eine kurze Strecke geht es jetzt auf Asphalt weiter,
dafür mit einem großartigen Ausblick auf den Posciavo mit dem
gleichnamigen See im Südosten. Der Weg wendet sich jedoch
Richtung Norden, bald geht es wieder auf einen Waldweg
Richtung Veruna. Die Vegetation ist üppig, der Weg kaum
ausgetreten, ich gehe zum Teil hüfthoch durch Brennesseln.
Dazwischen tausende Blumen und Schmetterlinge. An einem
Brunnen bei der Alpe Varuna mache ich Rast. Dann begegne ich
das erste Mal auf dieser Wanderung einer Kuhherde, um die ich
einen großen Bogen mache. Schließlich treffe ich gegen 14 Uhr
in Cavaglia ein, und besuche erst den Gletschergarten, wo mich
besonders die Gletschertöpfe beeindrucken. Ich werde in der
Folge meine Augen nach diesen Strukturen offen halten. Der
Gletschergarten liegt ganz nah an der
rhätischen Bahn, die die nächsten Tage meinen Weg begleiten
wird. Cavaglia selbst besteht nur aus wenigen
Häusern. Eigentlich hatte ich auf ein Lebensmittelgeschäft
gehofft, da meine Vorräte mittlerweile zur Gänze aufgebraucht sind. Doch
leider gibt es hier keine Einkaufsmöglichkeit. Im örtlichen
Rifugio esse ich Spaghetti bolognese. Ich begegne einer
Großmutter mit ihrer 6 jährigen Enkelin und ihrem Hund, Beppo.
Die beiden erzählen, dass sie für den Tag mit der Bahn
angereist sind, und am Campingplatz in Morteratsch
übernachten. Die Dame macht sich Gedanken über die
Gletscherschmelze. In ihrer Lebenszeit habe sie die Gletscher
hier in der Gegend mit eigenem Auge über die Jahre kleiner
werden sehen. Woher wir wohl das Wasser bekämen, wenn die
Gletscher nicht mehr da wären. Übernachten möchte ich nicht im
Rifugio, mich zieht es wieder auf den Berg, in die Natur. Die
Wirtin hat großes Verständnis dafür. So setzte ich meinen Weg
Richtung Lagh Palü fort. Nach einer guten Stunde durch
den Wald erreiche ich den See. Die Spaghetti waren nicht
ausreichend für meinen großen Hunger, so bestelle ich in einem
kleinen Lokal am See Polenta mit Spiegelei. Zum Übernachten
ziehe ich mich hinter den See zurück, an einem Wanderweg, der
eine Extrarunde Richtung Palügletscher macht und nicht sehr
frequentiert aussieht. Ich wasche mich im Fluss, der vom
Gletscher herunterfließt. Da fällt mir auf, dass es erstmals
einen ganzen Tag nicht geregnet hat. Dass der Regen auch nicht
so schlimm ist, bin ich doch bisher immer wieder nass und
infolge wieder trocken geworden. Ein letzter Blick auf den Piz
Palü, und ich ziehe mich in mein Zelt zurück, schlafe
augenblicklich ein, obwohl es erst 19 Uhr ist.
6.Tag Lagh Palü - Alp Grüm - Berninapass -
Camping Morteratsch
Auch
die Nacht verlief trocken. Um drei Uhr morgens wache ich das
erste Mal auf. Draussen sehe den Nachthimmel mit abertausenden
Sternen und eine schmale Mondsichel. Ich schlafe nochmals ein,
um sieben wache ich wieder auf, koche ich mir Tee, warte auf
die ersten Sonnenstrahlen, die auch rechtzeitig kommen, sodass
das kondenswassrefeuchte Zelt vor dem Einpacken ganz trocknen
kann. Schlafsack und Matte bereiten mir diesmal kein Sorgen,
weiß ich doch, dass mein nächstes Ziel, der Campingplatz
Morterasch, über einen Trockenraum verfügt. Als ich am Packen
bin, kommt am Weg die Wirtin vom Rifugio Cavaglia mit ihrem
Sohn vorbei, der eine Trompete am Rücken trägt. Sie wollen
hinauf zu einem kleinen See, wo er ihr ein Ständchen spielen
möchte. Ich begebe mich wieder zurück, Richtung See, und folge
dem Wanderweg durch den Wald zur Alp Grüm. Viel grünes Gras,
Schmetterlinge und Blumen begleiten ihn, ein Laubfrosch hüpft
über den Weg. Die Rhätische Bahn windet sich hier den Berg
hinauf, und ich komme an einem Wasserkraftlehrpfad vorbei. An
der Bahnstation Alp Grüm kaufe ich mir als Frühstück
zwei Packungen Kägifretschnitten, die vom ganzen Angebot das
beste Preis- Leistungsverhältnis aufweisen. Von hier geht es
den Wanderweg weiter sanft ansteigend zum Lago Bianco,
dem großen See, an dem der Berninapass liegt. Ich folge dem
nordöstlichen Seeufer, um zum Pass zu gelangen. Hier herrscht
reges Treiben, vor allem Motorradfahrer sind anzutreffen. In
einem Lokal am Pass mache ich Mittagspause und esse
Ham and Eggs mit Pommes Frittes. Der weitere Weg wird von der
Rhätischen Bahn begleitet, Richtung Westen habe ich Aussicht
auf den Piz Morteratsch. Der Weg führt leicht bergab über
Wiesen und Wälder, schließlich lande ich auf einer
asphaltierten Strasse, die zum Campingplatz Morteratsch
führt. Es sieht wieder nach Gewitter aus. So baue ich mein
Zelt auf, nehme eine Dusche, wasche meine Kleidung und trockne
sie gemeinsam mit Schuhen, Matte und Schlafsack im
Trockenraum. Im Laden des Campingplatzes besorge ich Proviant
für die nächsten Tage und Postkarten, die ich gleich schreibe
und abschicke. Nachdem morgen Sonntag ist, wird dies die
letzte Einkaufsmöglichkeit für die nächsten drei Tage sein.
Auch der Spiritus für meinen Kocher ist ausgegangen. So nehme
ich schweren Herzens eine Literflasche Spiritus, kleinere
Gebinde sind nicht erhältlich. Inzwischen hat es begonnen zu
regnen. Im Restaurant teile ich einen Tisch mit einem
Bäckerehepaar aus Rapperswil bei Bern. Wir unterhalten uns
über den Bäckerschwund, der auch in der Schweiz um sich greift
und essen Pizza. Auch die Großmutter mit Enkeltochter, die ich
in Cavaglia getroffen habe, ist da. In einer Regenpause begebe
ich mich zum Zelt, nachdem ich die getrocknete Matte samt
Schlafsack aus dem Trockenraum geholt habe. Dann beginnt es
wieder zu regnen, und ich schlafe schnell ein.
7. Tag Camping Morteratsch - Val Roseg -
Fuorcla Surlej - Lej Malachit
Morgens
ist der Himmel bedeckt, und das Zelt vom Regen triefnass.
Wenigstens regnet es jetzt nicht, und so packe ich schnell
alles zusammen. Als ich die restlichen Sachen aus dem
Trockenraum hole, setzt wieder leichter Regen ein. Ich kaufe
im Shop noch schnell ein Frühstück und ziehe dann mit
Regenjacke und Schirm los. Der Weg führt erst auf der
asphaltierten Strasse entlang, dann durch Wiesen und Wald
Richtung Pontresina. Als ich ins Val Roseg abzweige,
lässt der Regen nach. Hier treffe ich auf dem breiten Weg der
dem Tal- und Flusslauf folgt, etliche Läufer und Radfahrer. Es
gibt einen Lehrpfad über die Fauna und Flora. So erfahre ich,
dass Füchse und Dachse im Winter einen Bau teilen. Wenn dann
die Fuchsjungen auf die Welt kommen, ziehen die Dachse aus.
Auch lerne ich, dass Flechten eine Symbiose aus Algen und
Pilzen sind. Entlang des Weges stehen Schaukeln, die groß sind
wie Sitzbänke, mit Widmungen oder Sinnsprüchen, wie ich sie
aus dem Engadin kenne. Der nasse Rucksack mitsamt dem nassen
Zelt und dem Liter Spiritus macht sich bemerkbar. Nicht so
sehr als gefühltes Gewicht am Rücken, sondern in einem
langsameren Gehtempo. Von der Wiese vor dem Hotel Roseg
habe ich noch einmal einen Blick auf die großen Gipfel und
Gletscher, Morteratsch, Bernina und Roseg, die hier zum
Greifen Nahe sind. Ich schlage den Wanderweg Richtung Fuorcla
Surlej ein. Es geht einen schmalen Pfad oberhalb der
Baumgrenze zunächst zur Alp Surovel. Die Hütte ist
verschlossen. Auf der kleinen Wiese an der Südseite gibt es
eine Bank und einen Brunnen. Jetzt scheint die Mittagssonne
die ich für eine Rast und zum Trocknen von Zelt, Schlafsack,
und Matte sowie zum Kochen nutze. Ich geniesse den Ausblick
Auf Piz Roseg und Piz Bernina. Auch am Berninagletscher ist
deutlich zu sehen, wie er sich in den letzten Jahren
zurückgezogen hat. Wieder ziehen dunkle Wolken auf. Ich kann
gerade noch alles zusammenpacken, und mich unter das Vordach
der Almhütte flüchten, bevor der Regen in Strömen
herunterprasselt. Eine weitere Stunde verharre ich unter dem
Dach, bevor der Regen aufhört, und ich meinen Weg Richtung
Fuorcla fortsetze. Allerdings sollte ich bis zur Scharte noch
einmal nass werden. Erst geht es über Almwiesen, dann über
Felsen und Bäche. Oben liegt noch Schnee, aber es ist kein
Vergleich zu dem, was ich noch vor einigen Tagen in Italien zu
überwinden hatte. Kurz nach 15 Uhr treffe ich auf der Hütte
auf der Fuorcla Surlej ein. Hier oben gibt es sogar
eine Toi Toi Toilette. Die Hütte hat offen, allerdings nur bis
16 Uhr. Ich bekomme eine Gerstensuppe mit Würstel und
unterhalte mich mit der Wirtin über meine Erlebnisse. Sie ist
ganz angetan von meinem Plan, bei den kleinen Seen auf dem Weg
Richtung Furtschellas zu biwakieren. Wieder mit trockener
Kleidung ziehe ich weiter. Der Weg steigt ab Richtung Seilbahnstation
Murtel, dann geht es unter den Skiliften weiter den Hang
entlang Richtung Furtschellas Mittelstation. Bei Rabgusa
biege ich jedoch nach Süden und hangaufwärts ab, dem Weg
der Rundwanderung zu den kleinen Bergseen folgend. Am Lej
Malachit schlage ich mein Zelt auf, zumal es wieder nach
Regen aussieht. Dann fallen aber nur einige Tropfen. Ich
wasche mich im See und genieße den Blick auf Corvatsch und
Furtschellas. Leider sind die großen Seen im Tal von hier aus
nicht zu sehen, dafür ist der Platz windgeschützt. Die Nacht
bleibt dann trocken.
Schaukel mit Sinnspruch |
Alp Surovel im Val Roseg |
Fuorcla Surlej |
Lej Malachit |
Lej Lughin, Inn-Quelle |
Blockfelsen zur Fuorcla Grevasalvas |
Blick zurück |
Bank auf der Fuorcla Grevasalvas |
am Lej Grevasalvas |
11. Tag Abreise
Um sechs Uhr
morgens wache ich auf, im Zelt ist es feucht und kalt, es hat
2°C. Ich packe meine Sachen, während der Morgentoilette bringe
ich Schlafsack und Matte noch kurz in den Trockenraum, nach
einer halben Stunde ist das Ergebnis bereits ganz brauchbar,
sodass ich kurz nach sieben den Bus vom Campingplatz zum
Bahnhof St. Moritz nehme. Hier kaufe ich noch Souvenirs und
ein Frühstück. Der nächste Zug nach Chur geht um 8:02. Ich
fahre also wieder mit der rhätischen Bahn auf der UNESCO
Welterbestrecke. Diesmal treffe ich einen Herren aus
Deutschland mit seinem Enkel. Sie wollen heute noch nach
Hannover. Er stellt sich als Eisenbahnexperte heraus, und
berichtet mir nicht nur interessantes zur Strecke, sondern
auch von seinen vielen Bahnreisen quer durch Europa. So
stellen wir fest, dass wir beide schon mit der Bahn von
München bis nach Narvik, oberhalb des Polarkreises gefahren
sind. Kurz vor Chur fällt mir auf, dass das Nachbargleis aus
drei Schienen besteht. Ich werde aufgeklärt, dass es hierbei
um die Strecke handelt, auf der das Chemiewerk und die
Großsägerei in Domat/ Ems beliefert werden. Die Belieferung
erfolgt mit Normalspurzügen, während die rhätische Bahn auf
Schmalspur fährt. In Chur trennen sich unsere Wege. Ich nehme
den Zug nach Sargans, und steige dort in den Railjet nach Wien
um, der dort um 18Uhr 30 ankommt. Wenig später bin ich zu
Hause. Meine Wohnung kommt mir riesig vor, und es fällt mir
auf, wie viele Gegenstände vorhanden sind. Die letzen 10 Tage
ist mir davon nichts abgegangen. Bis auf die Badewanne
vielleicht. Ich stelle das noch nasse Zelt im Wohnzimmer zum
trocknen auf. Das Zelt wiederum wirkt hier viel größer als in
der freien Natur. Den Rucksack räume ich auch gleich aus. Ich
nehme ein ausgiebiges heisses Bad, und schlafe zum ersten Mal
seit zwölf Tagen wieder in einem, meinem, Bett.
Trekkingrouten in der Gegend: